Die Führungskraft als Coach – eine Frage der Haltung
Die Führungskraft als Coach – kann das funktionieren? Dieser Artikel beschreibt, warum dies zuvorderst eine Frage der Haltung ist, wo die Grenzen liegen und warum Führung und Management zwei verschiedene paar Schuhe sind.
In der zunehmend komplexen Arbeitswelt ist es einer Führungskraft heute kaum noch möglich, erfolgreich „klassisch“ zu führen. Dabei meint „klassische Führung“ eigentlich Management, d.h. das Steuern ausführender Tätigkeiten über Kennzahlen, Arbeitsanweisungen und Kontrolle. Bei deren Einhaltung wird belohnt (Bonus), bei Abweichungen wird getadelt (Malus). Diese Vorgehensweise ist insofern nicht verwunderlich, tauchte der Begriff Manager doch erstmalig im Zusammenhang mit Zirkusdompteuren Anfang des 20. Jahrhunderts auf (vgl. Janssen, 2016).
Führen als Dienstleistung
Führung dagegen bedeutet, Menschen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen einer Organisationsstruktur bestmöglich zu unterstützen. Das gelingt in dem die Führungskraft als Vorbild vorweg geht („führt“), einen sinnstiftenden Rahmen bietet und die Geführten dabei unterstützt, die eigene Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Formal kennzeichnend für eine Führungskraft ist, dass andere ihr folgen. Eine Führungskraft ohne „Gefolge“ kann somit keine Wirkung erzielen. Beruht das Folgen dabei allein auf der Grundlage organisationaler Regeln – und wird Führungskraft inoffiziell gar nicht als solche anerkannt, wird die sie deutlich weniger erfolgreich sein. Die Führungskraft, die Führung dagegen als Dienstleistung und nicht als Privileg versteht, kann mit größerer Wahrscheinlichkeit darauf vertrauen, auch komplexere organisationale Probleme mit Hilfe des Teams zu lösen. Hierzu braucht es Vertrauen und Teammitglieder, die gelernt haben, eigenverantwortlich Lösungen zu entwickeln. Das ist umso wichtiger, sind die Zeiten, in denen einige wenige wussten, was zu tun ist, längst vorbei.
Der Schlüssel liegt in der Haltung
Der Harvard Business Manager bringt es provokativ auf den Punkt: „Erklären Sie oder Ihre Führungskräfte den Mitarbeitern immer noch, was sie zu tun haben? Dann sind Sie dafür verantwortlich, wenn die Leistung allenfalls mittelmäßig ist.“ Um die Entwicklung von kreativen Lösungen bei Mitarbeitenden zu fördern, verlangen Unternehmen immer häufiger Coachingkompetenzen von ihren Führungskräften. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass insbesondere neue Mitarbeitende zunächst einmal befähigt werden müssen, die an Sie gestellten Aufgaben und die erwarteten Ergebnisse zu verstehen. Auch kann es notwendig sein, das „Wie“ des Lösungsprozesses durch entsprechende Seminare und Weiterbildungen zu unterstützen. Es geht um die Bereitstellung eines Orientierung und Sicherheit stiftenden Rahmens. Wer hier aber bereits Spielräume für eigene Entscheidungen und Lösungswege eröffnet, der legt den Grundstein dafür, dass Mitarbeitende zukünftig auch komplexere Herausforderungen lösen werden.
Die Führungskraft als Coach
Um als Führungskraft als Coach agieren zu können, braucht es sowohl Methodenkompetenz als auch ein tiefes Verständnis der eigenen Persönlichkeit. Dabei übernimmt nach wissenschaftlicher Definition die/der Coach*in die Verantwortung für die Prozessdurchführung. Die inhaltlichen Ergebnisse und entwickelten Lösungen verbleiben in der Selbstverantwortung der gecoachten Person (vgl. von Schuhmann 2014). Die Qualität des Coachings beruht dabei nach Greif im Wesentlichen auf der Ermöglichung von Lernerfahrungen.
Erforderliche Coaching-Kompetenzen
Um Coachinggespräche mit Mitarbeitenden erfolgreich führen zu können, braucht eine Führungskraft Reflexionsvermögen, Empathie und die Kompetenz, eine neutrale Beobachterposition einnehmen zu können. Daneben sollten grundlegende Fragen- und Gesprächstechniken beherrscht werden, die zusammen mit ein paar weiteren Tools die Basis des methodischen Werkzeugkoffers bilden. Das Wichtigste dabei ist jedoch die Haltung, dass Mitarbeitende in der Lage sind, aus sich heraus gute Lösungen zu entwickeln. Dies erfordert auch die Bereitschaft, auf gutgemeinte Expertentipps zu verzichten.
Damit Mitarbeitende sich auf ein Coaching einlassen können, brauchen Sie psychologische Sicherheit. Unter Druck, bei Stress oder mangelndem Vertrauen funktioniert Coaching nicht (vgl. Edmondson 2018).
Hier braucht es seitens der Führungskraft entsprechendes Fingerspitzengefühl für die Situation:
- Ist Coaching in der jeweiligen Situation sinnvoll oder verlangt die Situation etwas anderes?
- Kann ich einen sicheren Rahmen gestalten und fühlt sich die/der Mitarbeitende wohl und kann sich öffnen?
- Bin ich in der Lage, einen ergebnisoffenen Lernprozess zuzulassen oder will ich dem Mitarbeitenden (insgeheim) meine Lösung vermitteln?
Ob Mitarbeitende bereit für ein Coaching sind, verraten häufig schon Gestik, Mimik und Körpersprache. Hält die/der Mitarbeitende Blickkontakt, nickt zustimmend und hat eine offene Körperhaltung, oder weicht sie/er Blickkontakt aus, wirkt abwesend und verschränkt die Arme?
Zuhören statt antworten
Das Zuhören der Führungskraft als Coach ist für die Beziehungsgestaltung und den Erfolg im Coaching ein wesentlicher Faktor. Dabei ist es wichtig, dass der Coach dem Coachee signalisiert: Ich habe ehrliches Interesse an dir und deinem Anliegen und möchte mehr darüber erfahren. Klingt trivial, sieht aber in der Praxis häufig anders aus: „Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen; sie hören zu, um zu antworten.“ ( Covey 1989). So beschreibt Scharmer (2009) vier Arten des Zuhörens:
- Das „Abspulende Zuhören“, bei dem die/der Zuhörende Aufmerksamkeit vortäuscht, in Gedanken aber seine eigene Agenda verfolgt und jede Gelegenheit nutzt, selbst zu sprechen.
- Das „Faktische Zuhören“, bei dem die/der Zuhörende der/dem Sprechenden zwar aufmerksam folgt, aber nur um die eigene Sichtweise bestätigt zu wissen oder zu verteidigen.
- Das „Empathische (aktive) Zuhören“, bei dem die/der Zuhörende empathisch mitschwingt, durch Paraphrasieren des Gehörten sein Verstehen ausdrückt und durch offene Fragen die/den Sprechenden zur weiteren Exploration anregt.
- Das „Schöpferische Zuhören“, bei dem die/der Zuhörende sich vollkommen ergebnisoffen auf die Situation einlässt, sodass etwas gänzlich Neues entstehen kann.
Erkennbare Coaching-Effekte
Ob Coaching mittel- bis langfristig funktioniert und erfolgreich ist, lässt sich am einfachsten und schnellsten an folgenden Parametern erkennen:
- Mitarbeitende gehen offener mit Fehlern um und sehen diese als Chance zu lernen.
- Mitarbeitende agieren selbstständiger und mit höherer Eigenmotivation.
- Mitarbeitende fokussieren sich bei Veränderungen eher auf die Wachstumschancen, statt auf mögliche Risiken.
Insbesondere in Unternehmenskulturen, in denen Führungspositionen durch Expertenstatus legitimiert werden, erzeugt Coaching häufig zunächst größere Mehraufwände. Zum einen für die Führungskräfte, da von ihnen bislang erwartet wurde, im Zweifelsfall Lösungen parat zu haben und daran gemessen zu werden. Zum anderen für Mitarbeitende, die durch das bisherige Verhalten der Führungskräfte zur Unselbstständigkeit angehalten wurden.
Herausforderungen und limitierende Faktoren
In der täglichen Arbeit lassen sich insbesondere drei Herausforderungen ausmachen, die den Coaching-Erfolg limitieren:
- Rollenkonflikt: Eine Führungskraft, die coachen soll und gleichzeitig auch disziplinarische Verantwortung für ihr/sein Team trägt, steht immer vor der Herausforderung zwischen diesen beiden Rollen zu wechseln und zu entscheiden: Wann ist die/der Coach gefragt? Wann ist die disziplinarische Führungskraft gefragt? Zudem ist die Frage, inwieweit die Führungskraft überhaupt bewertungsfrei und ohne eigene Agenda in ein Coaching-Gespräch mit Mitarbeitenden gehen kann, ohne sich in diesem Rollenkonstrukt zu verzetteln? Darüber hinaus ist ebenso fraglich, ob sich Mitarbeitende in einem Coaching-Gespräch einer Führungskraft gegenüber öffnen, mit der sie die Tage zuvor ein kritisches Kennzahlengespräch geführt haben und die z.B. über Bonuszahlungen entscheidet.
- Lösungsdruck: Ist der Druck schnelle Lösungen zu liefern hoch, weil daran direkte wirtschaftliche Auswirkungen geknüpft sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Lösungen von Führungskräften vorgegeben oder vorgeschlagen werden, um kurzfristige Ziele zu erreichen. Dies ist umso wahrscheinlich, wenn sich Führungskräfte über einen Expertenstatus legitimieren.
- Entwicklungsbedarf: Die Coach-Rolle erfordert mehr als das Beherrschen von ein paar Methoden und Techniken. Die Herausbildung einer Coaching-Haltung ist ein Lernprozess, der je nach individuellen Voraussetzungen viel Zeit benötigt – insbesondere auch, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Führung ist keine Kompetenz, die jede/r Führungskraft einfach frei Haus mitbringt, häufig unternehmensseitig aber als gegeben vorausgesetzt wird. Hier müssen Unternehmen gezielt in die Aus- und Weiterbildung ihrer Führungskräfte investieren und diesen auch Zeit geben, sich persönlich in eine Führungsrolle hinein zu entwickeln.
Welche Erfahrungen habt ihr als Führungskräfte oder ihr als Mitarbeitende mit Coaching gemacht?
Quellen:
Covey, S. (1989). The Seven Habits Of Highly Effective People. New York: Simon & Schuster.
Edmondson, A. C. (2018). The fearless organization. New York: John Wiley & Sons.
Ibarra, H. & Scoular, A. (2020): Führen wie ein Coach. Harvard Business Manager 07/2020. Online abrufbar unter: https://www.manager-magazin.de/harvard/fuehrung/motivation-fuehrungskraefte-sollten-mitarbeiter-coachen-a-00000000-0002-0001-0000-000171530702.
Janssen, B. (2016): Die stille Revolution: Führen mit Sinn und Menschlichkeit. München: Ariston.
Scharmer, C. O. (2009). Theorie U: Von der entstehenden Zukunft her führen. Heidelberg: Carl Auer.
von Schuhmann, K. (2014): Coaching im Aufwind. Professionelles Business Coaching: Inhalte, Prozesse, Ergebnisse und Trends. Wiesbaden: Springer.